ARD, 17.02.2012
Kommentar zum Rücktritt Wulffs
Von Christoph Lütgert, freier Journalist und ehemaliger NDR-Chefreporter
Er ist abgetreten, wie er die letzten Wochen und Monate amtiert hat – ohne jede Einsicht. Auch noch im Abgang beharrte Christian Wulff darauf, er habe sich nichts vorzuwerfen, werde später bestimmt Recht bekommen, und er sei verletzt. Mehr als ein höhnisches „Sei’s drum!“ kann man ihm nicht nachrufen. Haken wir es ab.
Und Kanzlerin Angela Merkel zeigte auch nach Wulffs schmählichem Ende nicht die Spur von Einsicht. Christian Wulff war ihr Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten. Als Demonstration ihrer Macht hatte sie ihn durchgedrückt gegen den viel besseren Joachim Gauck, hatte sich gegen die Mehrheit ihres Volkes und gegen jegliche Vernunft gestellt. Als hätte sie mit dieser eklatanten Fehlentscheidung nicht den Staat, das Ansehen der Politik und das höchste Amt aufs schlimmste beschädigt, hielt sie noch nach Wulffs Abgang eine Laudatio auf den Gescheiterten. Makaber oder lächerlich – oder beides!
Nicht der erste Fehlgriff
Dass sich ausgerechnet Angela Merkel derzeit zu Höhenflügen der Demoskopie aufschwingen darf, ist nicht gerade ein Ausweis politischer Reife der Bürger. In kollektiver Amnesie scheinen viele zu vergessen oder zu verdrängen, dass die Machtpolitikerin Merkel mit Wulff schon die zweite Fehlbesetzung im Schloss Bellevue zu verantworten hatte.
…Entsorgungsanstalt Bellevue
Und mit Wulff im Schloss Bellevue entsorgte Frau Merkel einen möglicherweise lästigen innerparteilichen Rivalen und konnte gleichzeitig der Opposition mit deren Kandidaten Gauck eins auswischen. Es ging der Kanzlerin und CDU-Vorsitzenden also keinesfalls um das Wohl des deutschen Volkes, sondern es regierte schieres Machtkalkül und politischer Egoismus.
In Ihrem Amtseid hatte Angela Merkel vor Gott und den Menschen geschworen, „dass ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden“ werde. Zwei Mal – mit Köhler und Wulff – hat sie dieses Versprechen nicht gehalten. Hoffentlich tut sie es beim dritten Mal.
„tagesschau.de“; Link: http://www.tagesschau.de/kommentar/wulff974.html