Es ist schön – hier in der Schweiz

Der Schweizer und Literaturwissenschafter Peter von Matt erscheint mir in seinem Interview mit „Die Welt“ – „Der Schweiz geht es zu gut“ (15.03.2010) wankelmütig. Am 01. August 2009 sagte er in seiner Rütlirede „Es ist schön hier“. Nun, nicht ein Jahr später, schränkt er in seinem Interview dies ein – die Natur (der Schweiz) ist schön. Probleme hatte und hat und wird die Schweiz immer wieder haben. Zum
Teil sind sie hausgemacht, zum Teil werden sie von den  Nachbarn oder entfernteren Ländern verursacht. Probleme sind da. um gelöst zu werden. Die Schweiz ist mit ihren Problemen stets fertig geworden. Es
ist schön hier – in der Schweiz. In der Schweiz lässt sich gut leben.
Die Argumentation von Herrn von Matt erscheint mir emotional gesteuert, sachlich dürftig, zum Teil mangel- ja fehlerhaft. Ich bin enttäuscht über die mangelnde Differenzierung seiner Ausführungen. Herr von Matt scheint es zu bedauern, dass die Schweiz nicht Teil der EU ist. Jedoch – würde die Schweiz der EU angehören, so würde es ihr schlecht ergehen. Gegenüber dem obrigkeitsgläubigen und dementsprechend regierten Deutschland, gegenüber dem zentralistisch regierten Frankreich, gegenüber dem irgendwelchen Duces anhängenden Italien oder gegenüber der royalistischen Demokratie Grossbritannien
hätte die Schweiz keine Chance. Die jahrhundertealte direkte Demokratie , die Volkssouveränität, wie sie kein Land der EU kennt, würde zwischen den europäischen Institutionen zerrieben.
Herr von Matt stellt die Schweiz als Schwächling dar: „Sie kann nicht einmal ihre Nahrungsmittel bereitstellen“ – und? „Sie ist kulturell nicht selbstragend„ – das stimmt nicht, auch wenn dies ein
Literaturwissenschafter behauptet. Die Schweiz hat eine Literatur in fünf Sprachen, sie hatte und hat Künstler von Weltruhm in allen Bereichen. Mehr als einmal hat die Schweiz ihre (kulturelle) Existenz  bewahrt, obschon starke zentrifugale Kräfte wirkten. Im Ersten wie im Zweiten Weltkrieg haben Deutschschweizer, Romands und Tessiner zusammengehalten, weil sie nur im Rahmen der Schweiz ihre Kultur erhalten und entwickeln konnten. Es ist noch nicht so lange her, dass die Romandie den Verlockungen der „Frankophonie“ – von Québec und Montreal bis zum Jura – widerstanden hat. Diese Idee ist wie eine Blase zerplatzt. Die Schweiz hat den französischsprachigen Kanton Jura gebildet und damit ein damals drängendes Problem gelöst.
Das Bankgeheimnis ist Herrn von Matt ein Dorn im Auge. Herr von Matt weiss offensichtlich nicht, dass das von ihm geschmähte Bankgeheimnis dafür sorgt, dass ein schweizerischer Steuerbeamter keinen Einblick
in die Bankkonten und -Depots der Schweizerin/des Schweizers nehmen kann. Dies im Gegensatz zu Deutschland und anderen EU-Ländern.
Zwischen den EU-Ländern und der Schweiz bestanden schon seit langem Doppelbesteuerungsabkommen. Abkommen müssen – bekanntlich – von beiden Vertragsstaaten ratifiziert werden. Also sind beide Staaten (z.B. Deutschland), nicht nur die Schweiz verantwortlich für die Ist-Situation. Es kommt gar nicht in Frage, dass die Schweiz in den nunneu zu verhandelnden DB-Abkommen über die OECD-Normen hinausgeht. Ein automatischer Informationsaustausch, der die Bürgerin, den Bürger zum gläsernen Objekt verkümmern lässt, kommt für die Schweiz nicht in Frage. Solche Verhältnisse herrschen in der EU. Die Schweiz hegt keine „Fantasien der Unabhängigkeit“ wie Herr von Matt behauptet. Er erwähnt unter anderem das „Swissair-Debakel“ und
die Finanzkrise. Die Swiss ist der Edelstein der Lufthansa. Ich kenne keinen Staat, der seine Unabhängigkeit der Finanzkrise wegen aufgegeben hat. Im Gegenteil – Island hat jüngst seine Souveränität unter Beweis gestellt: Grossbritannien und die Niederlande habe ihre  Schnäppchenjäger, die in spekulativer Absicht den isländischen Banken ihr Geld übergeben haben, voll entschädigt. Die beiden Staaten haben sich nicht an die in der Höhe limitierten Entschädigungsgarantien gehalten. Aus kurzsichtigen innenpolitischen Gründen – es stehen in beiden Ländern Parlamentswahlen bevor. Die Isländerinnen und Isländer haben Zahlungen an diese beiden Staaten haushoch abgelehnt.
Der Literaturwissenschafter von Matt hat – leider – eine sehr begrenzte Sicht der schweizerischen Geschichte. Die Schweiz ist nicht das Produkt der europäischen Politik, wie er im Kurzschluss behauptet. Kurzschluss – für Herrn von Matt gibt es bezüglich der schweizerischen Staatsbildung und Unabhängigkeit nur den Wiener Kongress von 1814/15. Schon 1499 hat sich die zehnörtige Eidgenossenschaft im Schwabenkrieg von Habsburg, vom heiligen römischen Reich deutscher Nation, freigekämpft. Ursache war –  u.a. – die beabsichtigte Ausdehnung der Reichsreform auf die Eidgenossenschaft, um sie der Reichssteuer und dem Reichsgericht zu unterwerfen. Im Verlaufe der Kämpfe wurden die Reichsacht und der Reichskrieg gegen die Eidgenossen erklärt. Im Frieden von Basel wurden die Reichskammerprozesse gegen die Schweiz niedergeschlagen. Die Schweiz war de facto unabhängig vom „deutschen“ Reich. Im Westfälischen Frieden von 1648 schieden die schweizerische Eidgenossenschaft und die Niederlande aus dem Reichsverband aus. Somit war die Schweiz auch de iure unabhängig. Die Reichsunabhängigkeit wurde den Eidgenossen u.a. auf Initiative ihres Gesandten, des Basler Bürgermeisters J.R. Wettstein, zugestanden. Kommen wir nun zum Wienerkongress. Betrachten wir die schweizerische Neutralität. Grundsätzlich bedurfte und bedarf die Neutralität gegen
innen wie gegen aussen stets erneuter Rechtfertigung und Anerkennung. So irrt Herr von Matt einmal mehr, wenn er meint, der Wiener Kongress habe – ein für allemal – die schweizerische Neutralität „diktiert“.
Er irrt noch einmal. Denn die schweizerische Neutralität hat sich im Laufe der Zeit entwickelt. Die Niederlage der Eidgenossen 1515 bei Marignano war der Kristallkeim des Verzichtes auf Machtpolitik, d.h.
auf gestaltenden Einfluss auf das internationale Geschehen. Föderativer Respekt gegenüber den innerstaatlichen Unterschieden und Rücksicht auf die inneren Gegensätze verstärkte die neutrale Haltung und Politik der Eidgenossenschaft. Am Wiener Kongress erfolgte die erste Etappe der Kodifikation der schweizerischen Neutralität – die Anerkennung der schweizerischen Neutralität, nicht die Verordnung
derselben, wie Herr von Matt meint. Eine zweite Etappe erfolgte durch die zwei Haager Neutralitätsabkommen von 1907. Die Schweiz hätte im Ersten, wie im Zweiten Weltkrieg, später im Kalten Krieg ihre
Neutralität aufgeben können – Wiener Kongress („Diktat“ nach von Matt) hin oder her. Sie war gut beraten, dies nicht zu tun.
Zum Schluss des Interviews zeigt Herr von Matt doch noch eine klare schweizerische Haltung gegenüber den Versuchen der Elisalex Henckel, die für „Die Welt“ das Interview führt, der Schweiz  an den Karren zu fahren. Da helfen ihr auch nicht Zitate aus einem Buch „Das Ende der Schweiz“ –  verfasst nicht von Gaddhafi, sondern vom ehemaligen britischen Europa(!)Minister Denis MacShane. Da tun sich britische Abgründe auf: Grossbritannien hat ja wirklich gravierende Probleme. Eine Lösung ist nicht in Sicht.
Zum Abschluss dieses Interviews hält Herr von Matt klar fest: Nein, die Züge kommen nicht zu spät („sie kommen in der Schweiz jetzt zu spät“ – so zitiert Frau Henckel ihren Gewährsmann, MacShane).

„DAS TUN SIE HÖCHSTENS, WENN SIE AUS DEUTSCHLAND KOMMEN“.

Danke, Herr von Matt. Das Interview war – so mein Eindruck  – an sich schwach.

Über Juerg Walter Meyer 403 Artikel
Geburtstag 22. November 1937 Geschlecht Männlich Interessiert an Männern und Frauen Sprachen Schwizerdütsch, Deutsch, Schweizer Französisch und Englisch Politische Einstellung Liberalismus Meine politischen Ansichten und Ziele:Förderung der, Forderung nach und Durchsetzung der Eigenverantwortlichkeit. Liberal, – der Staat ist jedoch kein Nachtwächterstaat. Post, öffentlicher Verkehr sind Staatsaufgaben; diese und andere Staatsaufgaben kann er delegieren – Kontrolle ist besser als Vertrauen. – Generell: K-Kommandieren, K-Kontrollieren, K-Korrigieren – unter Inkaufnahme dass man als unangenehm empfunden werden kann. – Unabhängige Justiz, die ihre Entscheide nach Erlangung der Rechtskraft auch durchsetzen kann; keine Einsparungen bei der Polizei. – öffentliche Schulen, dreigliedrige Oberstufe. Nur die besten gehen auf ein Gymnasium; Matur = Reifezeugnis für Studium; Studiengebühren an den Hochschulen und Universitäten – ausgebautes Stipendienwesen. Prüfen, welche Aufgaben des Staates dem BWLer-Massstab ausgesetzt werden können. „Gewinn“ ist nur ein Massstab für das Funktionieren eines Staatswesens. In gewissen Bereichen – Schulen – BWL-Einfluss wieder zurückfah Kontakt Nutzername rhoenblickjrgmr(Twitter) Facebook http://facebook.com/juergwalter.meyer Geschichte nach Jahren 1960 Hat einen Abschluss von ETH Zürich 1956 Hat begonnen hier zur Schule zu gehen: ETH Zürich 1950 Hat einen Abschluss von Realgymnasium 1937 Geboren am 22. November 1937